Die Adler sind im ersten Saisondrittel das Überteam der Liga. Die Verpflichtung von Pavel Gross hat voll eingeschlagen. Da lohnt es sich doch, mal einen Blick auf die neuen Kurpfälzer zu werfen, oder?
Wie ruhig es bei den Adlern ist! Letzte Saison stand Daniel Hopp nach oder während der Spiele regelmäßig vor der Kamera, um die Leistungen der Kurpfälzer zu erklären. In dieser Saison kommt er in diese Verlegenheit nicht. (Tatsächlich fällt es mir schwer, mich zu erinnern, ob ich ihn in dieser Saison überhaupt schon gesehen habe.) Die Adler eilen von Sieg zu Sieg, und das erregt so viel Aufmerksamkeit, als wie wenn das der Normalfall wäre. Dabei ist es eher so, dass es der Normalfall sein müsste.
Ich habe mich in den letzten Jahren schon mal über die Adler mokiert. Doch das fällt in dieser Saison echt schwer, es gibt einfach kein Material. Es ist faszinierend, wie schnell Pavel Gross (mit seinem Stab) der Mannschaft ein völlig neues Gesicht verpasst hat.
Zunächst ein Blick auf den Mannschaftsumbau. Der ist eigentlich verhältnismäßig zurückhaltend ausgefallen mit drei Neuverpflichtung für die Defense, die tatsächlich zum Einsatz kommen: Mark Katic, Joonas Lehtivuori und Brendan Mikkelson. Cody Lampl, der als robuste Kante nach Mannheim geholt wurde für seine Körperlichkeit, spielt praktisch keine Rolle.
In der Offense gibt es mit Ben Smith, Markus Eisenschmidt, Nico Krämmer und Tommi Huhtala vier regelmäßig eingesetzte Neuzugänge. Ein Ausfall ist keiner.
Krisen gibt es in jeder Saison, eigentlich auf für jede Mannschaft. Bei 52 Hauptrundenspielen kann das gar nicht anders sein. Aber so wie Mannheim sich vor der Deutschland-Cup-Pause präsentiert, ist es das perfekte Gesamtpaket.
Der optische Eindruck: Das Forechecking ist das beste der DEL, das Backchecking steht dem in nichts zurück. Ich werde später noch versuchen, diesen Eindruck mit Zahlen zu untermauern. Beeindruckend ist die Geschlossenheit, mit der Mannheim in dieser Saison als Team auftritt, es fällt in der Tat schwer, einzelne Spieler herauszuheben.
Trotzdem lohnt es sich, auf einzelne Spieler näher einzugehen, um die Veränderungen in Mannheim zu unterstreichen. Die vier Nationalspieler Denis Reul, Sinan Akdag, David Wolf und Marcus Kink drängen sich mir auf.
Der langjährige Kapitän Kink scheint in Mannheim ein Auslaufmodell zu sein. Zu Beginn der Saison kam er noch regelmäßig zum Einsatz, findet er sich mittlerweile häufiger auf der Tribüne wieder. Ich hatte bei ihm in den letzten Jahren immer den Eindruck, es bestünde eine gewisse Diskrepanz zwischen seinen Leistungen im DEB-Team und bei seinem DEL-Club. Gross scheint daraus die Konsequenzen zu ziehen, im Team spielt er nur noch eine untergeordnete Rolle.
David Wolf scheint Spaß zu haben. Es ist fester Bestandteil der besten Offensive der DEL, Ausraster hat er sich noch überhaupt keine geleistet, seine Ausflüge in die Kühlbox sind selten geworden, Diszis kassiert er überhaupt keine mehr. In der gesamten letzten Saison kam Wolf auf 18 Scorerpunkte, aktuell steht er schon bei 14.
Sinan Akdag: Aus einem Risikofaktor ist ein zuverlässiger Verteidiger geworden. (+/–Bilanz 2017/18 lag bei -7, jetzt bei +11), genau wie Denis Reul (+/–Bilanz 2017/18 lag bei -14, jetzt bei +6) haben sich die Leistungen stabilisiert, Gross verteidigt in einem System, das die beiden gut umsetzen können.
Ich möchte das bisher gesagte mit ein paar Statistiken untermauern, die ich hier zumTeil schon verwendet habe, aber es sind auch ein paar neue dabei.
Ich beginne mit ein paar Darstellungen zur Defense, weil es in meinen Augen hier die wichtigsten Veränderungen gegeben hat. Zum einen war die Offense der Adler in den letzten Jahren eigentlich nie ein wirkliches Problem, zum anderen, das habe ich auch im letzten Ticker vor der Länderspielpause erwähnt, ist sehr auffällig, dass die Mannheimer kaum noch „leichte“ Gegentore kassieren. In den letzten Spielzeiten wurden sie häufig Opfer von gegnerischen Breakaways. Solche gibt es nur sehr selten. Was einerseits an dem brutal effizienten Forechecking liegt, aber auch an der Geschlossenheit, wie Mannheim zurückarbeitet. Und nur in diesem Zusammenspiel kann das so auch funktionieren.
Es ist nicht einfach nur ein Safety-First, mit dem ein Team sich vielleicht zur besten Defense der Liga entwicklen kann – dann ragen eben Defense-Stats heraus, aber die Offense-Werte fallen ein wenig hinten runter. Bei Mannheim beginnt tatsächlich Verteidigung bereits im Angriff, nur so lassen sich Spitzenwerte auch im Offense-Bereich erklären. An sich ist das eine banale Beobachtung. Klar beginnt Verteidigung bereits im Angriff. Das ist und muss eigentlich bei jedem Team der Fall sein. Nur funktioniert es bei Mannheim am besten. Mit deutlichem Abstand. Bei keiner Mannschaft sind Verteidigung und Angriff besser verzahnt als bei den Adlern.
In Abb. 1 werden dargestellt alle Abschlüsse, die eine Mannschaft vom Gegner zulässt. Hier werden also auch die gezählt, die nicht gesavet werden müssen. Ehrlich gesagt, ich habe zweimal überprüft, ob es tatsächlich die Wild Wings sind, die am wenigsten Schüsse zulassen.
Dem gegenüber steht Abb. 2, die anzeigt, aus wie vielen dieser Abschlüsse tatsächliche Torschüsse werden. Der Abstand ist frappierend und ich interpretiere ihn als systematisch. Adler-Goalies erleben im Vergleich zur Konkurrenz die langweiligsten Spiele.
Abb. 3 gibt das Verhältnis der gegnerischen Abschlüsse zu tatsächlichen Torschüssen an. Eine naheliegende Interpretation: Die Adler schaffen es am besten von allen Mannschaften, den Gegner zu schwierigen Torschüssen zu zwingen. In die Praxis umgesetzt, man hält den Gegner auf der Seite und zwingt ihn zu Schüssen aus der Distanz, bei denen grundsätzlich die Streuung höher ist. Wie gesagt, das ist systematisch bedingt und bestätigt nur optische Eindrücke. Es soll hier eigentlich nur um Mannheim gehen, aber ebenso lassen sich an dieser Stelle systematisch bedingte Probleme für die Abwehrreihen von Schwenningen und Berlin behaupten. Die Balance stimmt in solchen Situationen einfach nicht. Wobei die Eisbären für den Fall stehen, wie wir gleich bei den Offensivstatistiken noch sehen werden, dass die Offensivleistungen auf Kosten der Defense gehen. Balance eben. Ein ähnliches Missverhältnis liegt übrigens bei den Ice Tigers vor.
Nun der Blick auf die Offensivproduktion.
Abb. 4 stellt alle Abschlüsse inklusive der Schüsse dar, die nicht aus Tor kommen. Deutlich auch hier wieder, mit wie viel Abstand in dieser Kategorie die Adler vorne liegen. (Man beachte auch die Eisbären).
Wer viel schießt, bringt auch viel aufs Tor. In Abb. 5, die kontrekt die Torschüsse darstellt, führen die Eisbären knapp vor den Adlern. Bei den Eisbären ist es allerdings die Kehrseite der Medaille. Die Offense produziert viel, aber im Unterschied zu Mannheim auf Kosten der Defense.
Von den gesamten Abschlüssen bringen die Adler nach Straubing tatsächlich die wenigen direkt auf das Tor, wie Abb. 6 zeigt, die das Verhältnis von Abschlüssen gesamt zu Torschüssen darstellt. Besorgniserregend aus Mannheimer Sicht?
Das kann man so nicht sagen angesichts der Konvertierungsrate. Einerseits macht es die Masse der Mannheimer Abschlüsse, andererseits brauchen die Adler für ein Tor mit die wenigsten Torschüsse, wie Abb. 7 zeigt.
Es ist nur eine Momentaufnahme, aber in meinen Augen präsentieren sich die Adler sogar stärker als unter Geoff Ward, und der führte sie immerhin zu ihrem letzten Titel.
Zum Vorabschluss würde ich gerne noch ein paar Spiele der Adler herausgreifen. Zunächst das erste Spiel der Saison gegen die DEG. Statistisch gesehen war das nämlich sehr interessant mit 74:59 Abschlüsse zu Gunsten der Adler. Bei den echten Torschüssen sieht es jedoch schon anders aus: 28:22. Schüsse der Adler aus dem Slot: 9%. Nur eine andere Mannschaft hat es in dieser Saison geschafft, die Adler bei einer so schlechten Quote zu halten: Bremerhaven (18:20). Eine Partie, die Mannheim ebenfalls 1:2 nach Verlängerung verlor.
Dann würde ich gerne noch die 1:4-Niederlage gegen die Eisbären aufführen. Denn diese Partie war eine echte Anomalie im bisherigen Saisonverlauf. 70:39 Schüsse der Adler, 50:28 Torschüsse. Insofern alles normal, wäre da nicht eine schier unglaubliche Leistung von Kevin Poulin gewesen und der eindeutige Bruch im Spiel nach der Spieldauer gegen Raedeke.
Und dann wäre da noch das 4:0 gegen Augsburg am letzten Spieltag. Der AEV ist in dieser Saison keine Laufkundschaft, wie im Ticker erwähnt waren und sind die Panther eigentlich immer noch, das nach Mannheim beste Team in dieser Saisonphase. Aber trotzdem blieb der AEV chancenlos.
Und Schluss noch was zum Thema Fitness. Dazu möchte ich die beliebte (bei mir jedenfalls) Drittelstatistik verwenden.
Siehst du da irgendwo eine Schwächephase der Adler? Die ziehen das einfach durch. Über 60 Minuten.
Fazit: Es macht in dieser Saison wirklich Spaß, den Mannheimern bei der Arbeit zuzuschauen. Gut, das macht es sonst auch, aber aus ganz anderen Gründen. Ich glaube, ich bin verliebt.
Ich erinnere mich genau, dass ich letzte Saison mal geschrieben habe in einer Vorschau zum Duell Mannheim vs. Wolfsburg (um den genauen Wortlaut wiederzugeben, habe ich es auch nochmal rausgesucht):
„Schaut man sich die letzten Partien beider Mannschaften an, trifft hier eine geölte Maschine auf ein Maschinenbastelset (645 Teile, ein paar fehlen, eigentlich also 650 Teile, jedenfalls ungefähr, MAN WEISS ES NICHT), das man einem dreijährigen Kind vorlegt, dem man als einziges Werkzeug einen Vorschlaghammer in die Hand drückt – bis März wird das Ding niemals fertig. Und kann das den überhaupt heben? Das kommt ja noch dazu! Andererseits, wenn man die Einzelteile des Bastelsets oft genug hochwirft, entsteht vielleicht irgendwann irgendetwas durch Zufall.“
Damals war die geölte Maschine Wolfsburg, BEVOR Gross seinen Abgang nach Mannheim verkündete. Ja, ich weiß, die Grizzlys haben Verletzungssorgen. Aber: Sie sind nach Abgang von Gross saisonübergreifend ziemlich auseinandergebrochen. Pavel kam nach Mannheim, hat die Einzelteile hochgeworfen und …
P.S. Alle Zahlen sind der offiziellen DEL-Statistik entnommen. Es kann sein, dass ich an der ein oder anderen Stelle einen Übertragungsfehler drinhaben. Das sollte aber an der Gesamtaussage nichts ändern.
Argh, ich kannte die Seite bis eben noch gar nicht! Und dann wurde ich von dem Artikel dermaßen positiv überrascht, dass ich das wirklich hier zum Ausdruck bringen muss. Ab jetzt fester Bestandteil meiner morgendlichen Startseiten. Super-Arbeit, mache mich gleich mal dran, mir eine Leseliste für „wenn mal Zeit ist“ zusammenzustellen. Wirklich top
Danke, danke, aber täglich ist ziemlich viel verlangt 🙂
Kann allem nur zustimmen. Macht echt Bock, den Adlern dieses Jahr zuzuschauen.
ich glaube der Artikel ist in der Falschen Rubrik (Ballgefühle, Fußball)
super Analyse, Vielen Dank für die Arbeit 🙂
ächz, danke
Super Analyse Olaf! Kann dir in allen Punkten nur zustimmen.
Die größte Stärke ist mMn mit welcher Hartnäckigkeit die Adler über die komplette Spieldauer arbeiten. Man hört immer wieder von Trainern in Interviews bzw. Pressekonferenzen „Drittel X war sehr gut, aber wir müssen einen Weg finden das über 60 Minuten aufs Eis zu bringen“. Genau das machen die Adler zur Zeit. Irgendwo hab ich letztens den passenden Vergleich zu einer Würgeschlange gelesen. Die Adler krallen sich ab der ersten Minute den Gegner und fahren dann einen Angriff nach dem anderen auf das gegnerische Tor gefahren, bis der Gegner müde ist und sich seinem Schicksal ergibt. Es ist einfach verdammt schwer sich von dieser Umklammerung zu befreien und selbst aktiv zu werden.
Natürlich sind auch immer mal zwei drei Wechsel dabei in denen der Gegner für Druck sorgt, aber diese werden im Gegensatz zu letztem Jahr meist schadlos überstanden. Vor allem weil man viel konzentrierter und strukturierter verteidigt.
Eine Liebeserklärung an die Ader, aber auch ein vielversprechender Augenaufschlag für Kamui …
Du fragst nach einer Schwachstelle? Die Adler im ersten Drittel zu erwischen und in Führung zu gehen, ist nur halb so schwer, wie in Drittel 2 und 3.
Und obwohl sie im 2. Drittel näher am gegnerischen Tor dran sind, schießen sie da am wenigsten Tore.
Es wartet also noch viel Arbeit auf Pavel Gross und seinen (Zauber)Stab. 😜