Zum 25. Jahrestag der Hillsborough-Katastrophe

Das Hillsborough-Desaster jährt sich am 15. April zum 25. Mal. 96 Liverpool-Fans, die eigentlich das FA Cup-Halbfinale ihres Clubs gegen Nottingham Forest auf neutralem Boden im Hillsborough-Stadion in Sheffield verfolgen wollten, starben in einem überfüllten Stadionblock. 

Für meinsportradio.de habe ich eine Radioreportage zum Thema 25 Jahre Hillsborough-Desaster produziert, das ich mit dem Kollegen Martin Grabmann eingesprochen habe.

eingenetzt.org erinnert zum Jahrestag an die wohl größte Katastrophe der britischen Sportgeschichte, an eine Tragödie, die sich tief in das kollektive Bewusstsein des Landes eingebrannt hat, wie die bewegenden Fanaktionen vom Wochenende in der Premier League beweisen.

Sie veränderte das Erscheinungsbild des englischen Fußballs nachhaltig. Zäune, Stehplätze und Alkohol verschwanden aus den Stadien, mit allen negativen, aber auch positiven Folgen wie der Gründung der Premier League.

Die Auswirkungen reichen aber weit über den Sport hinaus.Bei der Aufarbeitung der Tragödie stießen die Untersuchungskomissionen auf eklatante Sicherheitsmängel, polizeiliche Versäumnisse, verantwortungsloses Handeln der Rettungskräfte, aber auch gefälschte Zeugenaussagen und Vertuschungsaktionen. Sie erschweren bis heute die endgültige Aufarbeitung der dramatischen Ereignisse und verhinderten eine Entschädigung der Hinterbliebenen der Opfer und erschütterten ihren Glauben in das britische Rechtssystem und die Medien nachhaltig.

„Heute war ein schwarzer Tag für den Fußball. An einem sonnigen Nachmittag in Sheffield starben nicht weniger als 93 Fußball-Anhänger im wohl tragischsten Unfall in dieser Sportart in diesem Land.“ Mit diesen Worten eröffnete BBC-Moderator Des Lynam am 15. April 1989 die Sendung Match of the Day. Und er warf Fragen auf, die bis heute – 25 Jahre danach – immer noch nicht umfassend geklärt sind und derzeit erneut im Mittelpunkt juristischer Aufarbeitungen stehen: „Was genau ist passiert und noch viel wichtiger – warum?“

Fehlentscheidungen führen zur Katastrophe

Kurz vor Anpfiff der Partie des FC Liverpool gegen Nottingham Forest drängelten immer noch tausende Fans der Reds vor den Drehkreuzen und warteten ungeduldig auf Einlass auf die bereits überfüllte Stehtribüne, hinter einem der beiden Tore. Um den Ansturm schnell abzubauen, öffnete die Polizei das große Einlasstor und ließ die Zuschauermassen ins Stadion.

Da auf dem weiteren Weg zur Kurve aber keine Ordner standen, die die Fanmassen auf die nur mäßig gefüllten Haupt- oder Gegentribünen hätten umleiten können, strömten nun viele Tausend Anhänger gleichzeitig und völlig ungehindert immer weiter in den eingezäunten Bereich direkt vor ihnen.

Während das Spiel bereits lief, brach in dem mittlerweile völlig überfüllten Block Panik aus. Wer konnte, versuchte mit letzter Kraft seitlich über die hohen Metallzäune zu klettern. Andere Fluchtwege gab es nicht mehr, vorne stehende Fans wurden von den nachrückenden Zuschauer einfach an die Zäune gepresst, erdrückt oder niedergetrampelt. Viel zu spät öffneten die Ordnungskräfte die Gitter. Die Polizei hatten die Situation schlichtweg falsch eingeschätzt, glaubte zunächst an normale Fan-Tumulte.

Doch selbst als der Weg frei war – so zeigen es Filmaufnahmen – hinderte die Polizei die flüchtenden Fans zunächst daran, auf den Rasen zu stürmen, um den nachfolgenden Massen Platz zu machen. Als sich verzweifelte Fans nur noch mit dem Sprung auf das Spielfeld zu retten glaubten, brach Schiedsrichter Ray Lewis das Spiel nach sechs Minuten ab. Erst nach und nach wurde das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich, an deren Ende 96 Tote und 766 zum Teil schwer Verletzte zu beklagen waren. Noch heute leiden viele der Überlebenden unter schweren Traumata.

Die Opfer wurde lange Jahre zu Schuldigen gemacht

Wenige Monate später kam die eingesetzte Untersuchungskommission unter Lord Justice Taylor zu dem Schluss, dass polizeiliche Versäumnisse Hauptauslöser für die schwerste Katastrophe in der britischen Sportgeschichte gewesen seien. Zur Rechenschaft wurde jedoch niemand der verantwortlichen Personen gezogen. Für viele Hinterbliebene ein unerträglicher Umstand. Mit dem gerichtsmedizinischen Befund „Tod durch Unfall“ konnten und wollten sie sich nie abfinden.

Sie kämpften, vertreten von der „Hillsborough Familiy Support Group“, gegen das Ergebnis der Untersuchung an. Auch gegen die latent im Raum stehenden Vorwürfe aus Polizeikreisen, die die Schuld an der Katastrophe lange Jahre immer wieder den Liverpool-Fans zugeschoben. „Betrunken und gewaltbereit“ seien sie gewiesen, hieß es. Englands Boulevardblatt The SUN berichtete vier Tage nach dem Unglück unter der heute berüchtigten Headline „The Truth“, dass Liverpool-Fans während der Katastrophe Rettungsversuche behindert und darüber hinaus Opfer ausgeraubt und auf Opfer und Polizeikräfte uriniert hätten.

Hillsborough Independent Panel untersuchte bislang geheime Quellen

Vorwürfe und eine Falschmeldung, die erst viele Jahre später eindeutig widerlegt werden konnten und 2012 zu öffentlichen Entschuldigungen von Seiten der Zeitung, aber auch der britischen Regierung führten. 2009 hatte die Labour-Regierung unter Premierminister Gordon Brown unter dem großen Druck der Öffentlichkeit eine weitere Untersuchung der Vorfälle in Auftrag gegeben und das Hillsborough Independent Panel unter Führung von James Jones, dem Bischofs von Liverpool, beauftragt über 450.000 Quellen bis dato nicht zugängliche Quellen auszuwerten.

Nach eingehender Untersuchung sah es das Panel als erwiesen an, dass fast die Hälfte der Toten hätte gerettet werden können, wenn sich die Ordnungskräfte korrekt verhalten hätten und die Rettungsmaßnahmen schnell eingeleitet worden wären. Von den 44 im Stadion verfügbaren Ambulanzen war zunächst nur eine einzige auf das Spielfeld gelassen worden. Außerdem widerlegten sie anhand verfügbarer TV-Aufnahmen, Fotos und medizinischer Untersuchungen die Aussage des damals für die Identifizierung und Toterklärung der Opfer zuständigen Coroners. Der hatte behauptet, dass alle Opfer bereits um 15:15 Uhr, also nur neun Minuten nach Spielbabbruch, bereits tot oder klinisch tot gewesen seien. Dieser Aussage hatte bisher verhindert, dass bei offiziellen Untersuchungen das Handeln der Polizei und Rettungskräfte nach dieser Uhrzeit zum Gegenstand gemacht werden konnte.

Doch die Feststellungen des Hillsborough Independent Panel gingen noch weiter. So fand er heraus, dass 164 der am Tag nach der Katastrophe aufgenommenen Zeugenaussagen nachträglich von der Polizei manipuliert wurden – darunter 116, die die Polizei direkt kritisierten. So sollte das Verhalten der Sicherheits- und Rettungskräfte in einem besseren Licht erscheinen. Mittlerweile gab der damalige Chefredakteur der SUN zu, dass ein konservativer Parlamentsabgeordnete für Sheffield ihm die Falsch-Informationen für ihren damaligen Skandalartikel geliefert hatte. Ob der Abgeordnete allerdings bewusst gelogen oder nur den ihm von der Polizei übermittelten Infos geglaubt hatte, lässt sich objektiv natürlich nicht mehr ermitteln.

Premierminister David Cameron nahm 2012 zu den Ergebnisse des Panels in einer bemerkenswerten Rede im Unterhaus Stellung und entschuldigte sich bei den Opfern:„Was damals passierte und danach, war falsch. Es war falsch, dass die Verantwortlichen wussten, dass Hillsborough nicht einmal die Minimum-Sicherheitsstandards erfüllte und trotzdem das Match dort austragen ließen. Es war falsch, dass die Familien so lange warten und hart kämpfen mussten, um die Wahrheit zu erfahren. Es war falsch, dass die Polizei Zeugenaussagen fälschte, um die Fans zu beschuldigen. Unter der Last der neuen Beweise muss ich mich als Premierminister bei den Familein der 96 für alles, was sie in den letzten 23 Jahren erleiden mussten, entschuldigen. Die Beweise zeigen, dass diese Familien doppeltem Unrecht ausgesetzt waren… Stellvertretend für die Regierung und unser Land tut es mir unglaublich Leid, dass dieses Unrecht so lange nicht korrigiert wurde.“

Das Hillsborough-Desaster wird juristisch neu aufgerollt

Aufgrund der neuen Beweise nahm der Generalstaatsanwalt das Verfahren um das Hillsborough-Desaster wieder auf. Er beantragte beim Obersten Zivilgericht die Revision aller im Zusammenhang mit der Katastrophe ergangenen Urteile.

Basierend auf den Erkenntnissen des Panels hat vor wenigen Tagen eine neue Untersuchung der Vorfälle begonnen. Alle Fakten und jegliches strafbare Verhalten rund um das Unglück im Hillsborough vor 25 Jahren sollen dabei nun ans Licht kommen. Die Anhörungen können bis zu zwölf Monaten andauern. Nach Auffassung von Anwälten der Hinterbliebenen drohen sowohl der South Yorkshire Police wie auch dem Stadtrat von Sheffield und sogar Sheffield Wednesday, dem Besitzer und Betreiber des Stadions, Anklagen wegen gemeinschaftlichen Totschlags.

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