Wer hätte das gedacht? Es gibt tatsächlich noch ein sechstes Spiel, womöglich sogar ein echtes Endspiel. Totgesagte leben eben länger. Die Eisbären greifen nach dem Ausgleich in der Finalserie.
Ich gebe zu, das hätte ich den Eisbären nach den drei Spielen zuvor nicht mehr zugetraut. Im Nachhinein wirkt meine Vorschau auf das fünfte Spiel fast ein wenig depressiv. Ich ziehe meinen Hut. Sieht sowieso scheiße aus. Ich mit Hut.
München beendete die letzten acht Playoffserien siegreich und gab dabei nie mehr als eine Partie ab. Perdu. Fürs Überleben in der Serie müssen die Eisbären nun eine weitere Marke des noch amtierenden Meisters brechen. Der hat nämlich in einer Finalrunde auch noch nie ein Auswärtsspiel verloren.
Spiel fünf hatte wirklich alles, was man sich für ein Playoffspiel wünschen kann. Spannung, einen dramatischen Spielverlauf und vor allem Tore, Tore, Tore. Es gab bisher überhaupt erst ein einziges Spiel in einer Finalserie, in der mehr Treffer fielen. In der Saison 97/98, einer Serie zwischen den Eisbären und den Adlern in Spiel drei, als die Eisbären 8:7 gewannen, übrigens ganz ohne Verlängerung. Wir haben also noch Luft nach oben.
Ein Rekord steht schon vor der sechsten Begegnung fest: 38 Tore gab es in einer Finalserie noch nie. Der bisherige lag bei der Serie zwischen Mannheim und Ingolstadt aus der Spielzeit 2014/15, als der Zähler am Ende bei 33 Treffern stehenblieb. Auch die wurde bereits im Modus Best-of-Seven ausgespielt. Aber auch beim Toreschnitt weist diese Serie einen Spitzenwert aus: 7,6 Tore im Schnitt, nur einmal lag der Wert höher: In der Saison 2010/11 (8,0), Berlin sweepte damals Wolfsburg – bei drei Spielen ist so ein hoher Schnitt aber viel einfacher zu erreichen.
Angesichts der ausnahmslos vorzüglichen Goalie-Leistungen ist der hohe Wert sehr erstaunlich. Offense wins games, defense wins championships scheint bei dieser Serie also nicht ganz zuzutreffen. Spielen halt auch die beiden besten Offensiven der Hauptrunde.
Wie gesagt, für mich war die Serie bereits vor Spielbeginn am Sonntag abgeschlossen. Aber die Eisbären haben mich mit ihrem bisher besten Spiel in dieser Serie Lügen gestraft. Ein wenig unverständlich bleibt, dass sie mit dieser Energie nicht an alle Spiele herangegangen sind. Sie mögen natürlich auch das nötige Scheibenglück gehabt haben, an den Sturz von Maxi Kastner seit erinnert, der unmittelbar zu einem Gegentreffer für München führte, aber in Partie fünf würde tatsächlich erstmals davon sprechen, dass sie es auch erzwungen haben. München hatte über die gesamte Partie große Probleme, Berlin sein Spiel aufzuzwingen. Und das war tatsächlich neu.
Die einzige Best-of-Seven-Serie, nur Finale, die über die volle Distanz ging, gewann am Ende die Mannschaft, die zuerst auswärts antreten musste. Vorausgesetzt, die Eisbären gewinnen heute, wäre ich verdammt gespannt, wie das eigentlich in Spiel sieben mit den Nervenkostümen aussähe. Vor allem dem der Münchner. Spiel sechs, das ist für mich in erster Linie keine Charakterfrage, eine Formulierung, die ich unter anderem beim Kicker gelesen habe (so ein Unsinn). Es ist eine Nervenfrage. Wer nervös ist, hat doch nicht gleich einen schlechten Charakter. Wo ist denn da die Logik? Bei Charakter denke ich an ganz andere Dicke. Stichwort Pinizzotto. Ein weites Feld.
Dem fünften Spiel sah ich leicht genervt entgegen, weil ich sowieso wusste, wie es ausgeht. Bei Spiel sechs würde ich lieber den Ausdruck „fiebrige Spannung“ verwenden. Oder „Vorfreude“. Wenn die Eisbären heute gewinnen, bekommen sie den Ehrennamen Lazarussen.
Heiner
Berlin – München 0:1
So ein Spinner.